Impuls zum 14. Februar 2021
„Zieh den Kreis nicht zu klein“ (H.G. Surmund)
Als ich mich für diesen Sonntag eintrug, war mir nicht bewusst, dass dies der Karnevalssonntag ist. Aber Karnevalspredigten, womöglich noch in Versform, liegen mir nicht. Doch, als ich über das Evangelium nachdachte, kam ich doch auf karnevalistische Gedanken, die zugleich hochpolitisch sind.
Mk 1,40-45
Ein Aussätziger kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm nieder auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein! Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg, wies ihn streng an und sagte zu ihm: Sieh, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat – ihnen zum Zeugnis. Der Mann aber ging weg und verkündigte bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überall her zu ihm.
Aussätzige gibt es auch heute noch. Der finanzielle Aufwand für vier Fernbomber reichte aus, um den Aussatz rechtzeitig zu erkennen und weltweit als Krankheit zu besiegen. Aber keine Militärmacht der Welt ist dazu bereit. Heute geht es weltweit um die Pandemie. Auch bei Corona heißt es: Abstand waren. Die Welt stöhnt und versucht sich gegen diesen neuen Aussatz zu wehren.
Doch „Aussätzige“ gibt es auch sonst vielfach mitten unter uns: Sie versammeln sich an bestimmten Punkten der Stadt mit ihren Flaschen; sie sitzen verschämt im Arbeitsamt und suchen Arbeit; sie wohnen mit ihren prekären Arbeitsverhältnissen in Containern oder heruntergekommenen Wohnungen; sie leben von Hartz IV, und die Kinder können deswegen den Ausflug nicht mitmachen; sie wühlen in den Mülltonnen nach verwertbarer Nahrung; sie sind gerade aus dem Gefängnis entlassen; sie mussten flüchten und suchen sichere Unterkunft… Wir könnten die Litanei noch lange fortsetzen. Die Aussätzigen sind mitten unter uns. Sie erleben dasselbe, was die Aussätzigen damals erfahren mussten: ausgeschlossen vom normalen Leben, gemieden von den anständigen Bürgern, ohne Zukunft. Wer heilt ihren Aussatz?
Aussätzig sind nicht nur einzelne Gruppen hier unter uns. In Lateinamerika spricht man von den „Ausgegrenzten“ und meint damit all jene, die ohne Ausbildung und Lebenschancen sind; die in den Elendsvierteln wohnen; die Kinder, die sich selber prostituieren müssen, um überleben zu können. Diese Ausgegrenzten umfassen mehr als ein Drittel der Bevölkerung dort. Papst Franziskus spricht von Müll, zu dem Menschen weltweit gemacht werden.
Jesus hört die Bitte des Aussätzigen. Er schaut hin, nimmt den Menschen in seiner Not wahr. Er hat keine Berührungsängste. „Er berührte ihn und sagte: Ich will es: Werde rein!“ Jesus schert sich nicht um die hygienischen Vorschriften und um die Vorurteile der Menschen. Ich kann mir gut denken, dass sein Verhalten einen Schock bedeutete für die Umstehenden, auch für seine Jünger. Weil er keine Berührungsängste hat, geht eine heilende Kraft von ihm aus. Der Evangelist Markus erzählt in seinem ersten Kapitel nach der Jüngerberufung sofort eine Reihe von Heilungsgeschichten. Es scheint, dass in der Jüngerschaft Jesu und auch in den ersten Gemeinden immer wieder davon erzählt wird. Auch am Schluss des heutigen Evangeliums hören wir, wie der Geheilte überall davon erzählt. Die Leute kamen deswegen von überall her zu Jesus.
Da fällt mir ein Lied von Heinz Georg Surmund ein, das sicher viele kennen:
Wenn du singst, sing nicht allein, steck and‘re an,
Singen kann Kreise zieh’n.
Wenn du singst, sing nicht allein, steck and’re an:
Zieh den Kreis nicht zu klein. Zieh den Kreis nicht zu klein.
Wenn du sprichst, sprich nicht allein, steck and‘re an,
Sprechen kann Kreise zieh‘n.
Wenn du sprichst, sprich nicht für dich, steck and’re an:
Zieh den Kreis nicht zu klein. Zieh den Kreis nicht zu klein.
Wenn du lachst, lach nicht allein, steck and’re an,
Lachen soll Kreise zieh’n.
Wenn du lachst, lach nicht für dich, lach and’ren zu:
Zieh den Kreis nicht zu klein, zieh den Kreis nicht zu klein.
Beziehung zu Gott
Vielleicht haben wir in unserer religiösen Erziehung zu wenig davon mitbekommen. Da ging es vor allem um die Sündenvergebung, um die Beziehung zu Gott. Sicher, das war das Anliegen Jesu, aber eben nicht allein und nicht isoliert vom konkreten Leben der Menschen. Es geht ihm um das Heilsein des ganzen Menschen, um seine Befreiung von allen Unheilsmächten, die ihn unterdrücken, und es geht ihm um die Überwindung der Spaltung zwischen den Menschen. Alle Heilungsgeschichten Jesu führen zu einer neuen Kommunikation unter den Menschen, wo Isolierungen und Grenzen aufgebrochen und überwunden werden. So schickt er den Geheilten zu den Priestern, wie es damals vorgeschrieben war. Es geht um die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, das neue Miteinander.
Hier wird uns ein ganz naher und moderner Weg der Nachfolge Jesu eröffnet: Überall da, wo wir hinschauen, Menschen in ihrer Not wahrnehmen, wo wir den vielfältigen Aussatz in unserer Welt, der Menschen voneinander trennt, zu überwinden versuchen, wo wir Kontakt aufnehmen mit den betroffenen Menschen, wo wir ohne Berührungsängste mit ihnen sprechen und sie als Menschen in ihrer besonderen Situation wahrnehmen, ohne sie zu verurteilen, da leben wir in der Nachfolge Jesu, da gehen auch von uns heilende Kräfte aus. Da sind wir oft selbst die Beschenkten. Das können viele bestätigen, die sich auf diesen Weg eingelassen haben.
Das ist ein Weg für jede, für jeden einzelnen von uns, aber auch für uns als Gemeinde: die Gemeinde als heilender Raum, wo die üblichen Abgrenzungen zwischen den Menschen überwunden werden. Das gilt schon für die verschiedenen Wohnbezirke in unserer Gemeinde, für die Suchtkranken unter uns, für Arm und Reich. Das gilt aber auch für unser gemeinsames politisches Bemühen um ein solch menschliches Klima in unserer Stadt, wo Ausgrenzungen überwunden werden und nicht Stadtwachen und Bürgerwehren dafür sorgen, dass bestimmte Menschen uns gar nicht erst unter die Augen kommen. Da geht es um unseren unvoreingenommen Blick und ein offenes Herz. In Corona-Zeiten müssen wir natürlich mit unseren Berührungen vorsichtig sein, nicht nur, um uns selbst zu schützen, sondern auch jeweils die anderen. Doch gibt es vielfältige Möglichkeiten der Kontakte; Briefe, Emails, Anrufe und die vielen neuen dann wirklich „sozialen“ Medien. Da können wir vielleicht auch abgebrochene Kontakte neu beleben, alte Streitpunkte jetzt gelassener lösen.
Es geht für die einzelne Christin, den einzelnen Christen, aber auch für die christliche Gemeinde darum, dass sie Freundinnen und Freunde haben unter den Armen, den Ausgegrenzten, den Aussätzigen unserer Tage. Das ist keine Randfrage unseres Christseins. Für Markus stehen solche Geschichten am Beginn seines Evangeliums. Alles Reden von der Vergebung der Schuld, von der neuen Gemeinschaft mit Gott bleibt sonst leer und wird schnell zur frommen Ausrede. Wir können selber nicht Eucharistie feiern ohne solche Freundschaft mit den Armen. Sie, die Beziehung zu ihnen, die alle Grenzen überwindet, machen uns erst eucharistiefähig. Sie lassen uns selber erahnen, was Gott auf sich nimmt, um alle Schuld, alle Grenzen zwischen ihm und uns zu überwinden, um uns frei und heil zu machen. Dafür wollen wir mit dem Geheilten Jesus danken.
„Ne ahle Mann…“
Und damit sind wir beim Karneval. Mir fiel beim Nachdenken über dieses Evangelium der alte Karnevalsschlager von den „Bläck Fööss“ ein:
Ne ahle Mann steht vür der Wirtschafftsdür,
Der su jern ens ene drinken däät,
Doch de hätt vill zu wennisch Jeld,
Sulang he uch zällt.
In der Wirtschaff is die Stimmung jrus,
Äver keiner sück der ahle Mann,
Doch do kütt ene mit enem Bier,
Und sprisch en enfach an:
Drink doch ene met,
Stell dich nit esu an,
Du stehs he die janze Zick erüm.
Hässt du och kei Geld,
Dat ist janz ejal,
Drink doch met unn kümmer disch net drümm.
Su mansche sitz vielleisch allen zu Huss,
Der su jern ens widda lachen dät.
Janz heimlisch, da wat hä nur darup,
Dat ene zu ihm säht:
Drink doch ene mit,
Stell dich nit esu ann…..
Der „ahle Mann“ steht für alle, die wir draußen vor der Türe stehen lassen, die für uns “aussätzig“ sind. Da gilt für jede*n Einzelne*n, aber auch für uns als Gemeinde, als Bürger dieses Landes. Der „ahle Mann“ versucht übers Mittelmeer nach Europa zu kommen oder er lebt in den Flüchtlingslägern von Moria und Bosnien. „Drink doch ene met“ das gilt auch für die Corona-Impfstoffe. Da gibt es nicht nur das eigene Volk „first“, sondern viele Völker, viele Menschen: „Doch de hätt vill zu wenisch Jeld“. Platz für verantwortungsvolle Politik und für viel Engagement für das Heilwerden von Menschen heute.